Hans Hass Archiv


Evolutionsbiologie und Systemtheorie

Nachdem Hans Hass mit neuentwickelten Methoden und Geräten Meerestiere, Korallenriffe und Atolle studiert, viele Geheimnisse gelüftet und Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt hatte, wandte er sich mit derselben Konsequenz wie bisher ganz seinen neuen wissenschaftlichen Ambitionen zu, die in den Jahren im Meer heranwuchsen. Er verkaufte 1960 die XARIFA und wandte sich neuen Fragen zu: „Gibt es verborgene Gemeinsamkeiten, allgemein geltende Gesetze bei der Entwicklung der Pflanzen, Tiere und Menschen und der vom Menschen geschaffenen Systeme?“.

 

Humanethologie

 

Hierzu studierte er nun den Menschen - sein Verhalten und die von ihm geschaffenen Systeme. Wie anfangs Im Meer entwickelte er nun auch „an Land“ neue Methoden für eine möglichst objektive Betrachtung. Er filmte Menschen in verschiedensten Kontinenten und Kulturen. Damit sich die Gefilmten nicht beobachtet und möglichst unbeeinflusst verhielten, entwickelte er die „Hass‘sche Spiegeltechnik“ und damit ein grundlegendes Werkzeug für viele nachfolgende Humanethologen. In das Kameraobjektiv baute er einen Umlenkspiegel ein. Er konnte nun - die Kamera an den Beobachteten vorbei gerichtet - die Menschen „um die Ecke“ filmen.

Eine weitere Methode zur distanzierten Betrachtung des menschlichen Verhaltens war es, Menschen in der Zeitraffer- und Zeitlupentechnik zu filmen. Bei Obersichtsaufnahmen verwandelte sich so durch die Zeitraffung z.B. die gewohnte Menschenwelt in einen kuriosen Ameisenhaufen mit ungeahnten Zusammenhängen, während Z.B. die Zeitlupe eine detaillierte Analyse der Mimik erlaubte. Als Hass dann Konrad Lorenz und dessen Schüler Eibl-Eibesfeldt seine Filme zeigte, war dieser begeistert über diese neuen Einsichten und Ansätze. Es folgten gemeinsame humanethologische Reisen und Expeditionen von Hass und Eibl. Hass wurde so zu einem wichtigen Mitbegründer der sich neu entwickelnden Wissenschaft der Humanethologie und durch Arbeiten mit Eibl-Eibesfeldt und anderen darüber hinaus auch zu einem Mitbegründer der Stadtethologie.

Mehr und mehr beschäftigten jedoch Hass die übergeordneten Zusammenhänge und Hintergründe. Was anfangs - noch im Meer - erste Gedanken waren, wurde zur gefestigten, klaren Theorie, die er erstmals 1970 unter dem Titel „Energontheorie - das verborgene Gemeinsame“ veröffentlichte. 

 

Die Energontheorie 

 

Sie besagt, dass Berufstätigkeit und Unternehmen des Menschen sich zwangsläufig nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten entfalten, die auch die Evolution der Tiere und Pflanzen vorantreiben. Die Energontheorie orientiert sich nicht an den materiellen Erscheinungen, sondern am Energetischen: an Abläufen, Leistungen und Wirkungen. Sie betrachtet nicht die Materie, sondern das, was ihr zugrunde liegt und was sich über sie entfaltet, die Energie.

Hass betrachtet die Lebensentfaltung als eine Erscheinungsform der Energie. Die sich immer mehr steigernde Lebensentfaltung ist dabei nur möglich, wenn die entsprechenden Strukturen eine positive Energiebilanz haben, wenn sie also mehr Energie aufnehmen als sie verbrauchen. Diese „ernergieaufnehmenden Systeme“ bezeichnet er als „Energone“.

 

Diese Grundlagentheorie, wegen der völlig neuen Denkansätze zum Teil nicht leicht zu verstehen, die alle geistes- und naturwissenschaftlichen Disziplinen vom Menschen durch ein gemeinsames Begriffssystem und grundlegende Gesetzmäßigkeiten zu verbinden sucht, stieß in der Wissenschaft zunächst auf geringe Gegenliebe. 1971 fand sie jedoch in der Wirtschaftswissenschaft ihre erste Anwendung. Dort interessierte der neue Ansatz, Effizienz rechnerisch zu erfassen und zu einem neutralen Bewertungssystem zu gelangen. Gemeinsam mit Wolfgang Mewes führte Hass viele Managerseminare durch, in denen Führungskräfte mit der „Energo-kybernetischen Strategie (EKS)“ vertraut gemacht wurden. Zu den erfolgreichen Anwendern zählten viele namhafte internationale Unternehmen und Konzerne, wie Lufthansa, Nestle, Nixdorf, IBM, Banken und große Einkaufsketten.

 


Die Theorie der Hyperzeller

 

Im Laufe der Zeit wurde die Energontheorie von Hass immer weiter ausgebaut und verfeinert und fand auch in der Wirtschaft ihren weiteren Niederschlag. Hier ging es unter anderem um Strategien der Effizienz im Sinne eines möglichst nachhaltigen Energieerwerbs bzw. um eine „Optimale Betriebsstrategie“.

Das 1994 erschienene Buch „Die Hyperzeller - Die Weiterentwicklung der Arten“ setzt die bisher formulierten Theorien in eine andere Blickrichtung. Während der Energontheorie die funktionelle und energetische Denkweise zugrunde lag, ist dies ein rein biologisches Buch, das sich aber mit genau der gleichen Thematik befasst und zu denselben Schlussfolgerungen kommt. Dieses Buch kann als eine Weiterentwicklung der Evolutionstheorie betrachtet werden. Genauso, wie sich nach der „Erfindung“ der Zelle aus den Einzellern vielzellige Lebewesen mit einer bestimmten inneren Organisation entwickelten, ist der Mensch Ausgangspunkt für eine neue Entwicklung, die über den Menschen hinweg weiter geht. Der Mensch vermag durch seine besonderen Fähigkeiten seinen Körper durch „künstlich“ gefertigte Hilfsmittel zu verbessern. Er entwickelt zusätzliche Organe, durch die er je nach Bedarf verschiedenste Leistungen erreichen oder effizienter durchführen kann. Diese zusätzlichen Organe reichen vom primitiven Steinzeitwerkzeug bis zum Rechenzentrum und zur Mondrakete. So kam es ausgehend vom Urmenschen zu einer weiteren, nicht minder gewaltigen Entfaltung von neuen Lebensformen, die sich in unserer Zeit immer schneller steigert.

Diese Lebensformen fasst Hass unter dem Begriff Hyperzeller zusammen. Seine Theorie der Hyperzeller besagt, dass sich über den Menschen ein zweites Mai Leistungen auf noch effizientere Organe, die den Gesamtkörper direkt aus Umweltmaterial bilden, verlagerten, und dass all das, was man heute unter „soziokulturelle Entwicklung des Menschen“ zusammenfasst, den gleichen Gesetzmäßigkeiten der Evolution unterliegt. Die Theorie der Hyperzeller schließt also unmittelbar an Darwins Lehre an und befasst sich mit dem Evolutionsverlauf und seinen Gesetzmäßigkeiten, der über den Menschen hinweg seinen Weg nahm.